Was für Menschen leben hier eigentlich? Sind in Lohndorf die gleichen Leute zuhause wie in Geisfeld? Gibt es Unterschiede zu denen aus Litzendorf? Und welche von diesen Menschen kommen zu uns in die Kirche? Angetrieben von der Frage, mit welchen Menschen die Kirche in den einzelnen Gemeinden zu tun hat und wie man sie erreichen kann, beschäftigen sich Pfarrgemeinderäte und pastorale Mitar-beiter/innen mit der Sinus-Milieu-Studie. Diese wurde von den deutschen Bischöfen beim Heidelberger Marktforschungsinstitut „Sinus Sociovision“ in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wie Menschen in unserem Land ihre Lebenswelt gestalten, welche Werte ihnen wichtig sind und schließlich auch, wie sie zur katholischen Kirche stehen und was sie von der Kirche erwarten und erhoffen.
Seit 2001 gibt es schon Ergebnisse dieser Studie und in vielen Bistümern fließen diese Resultate auch in die Planung und Gestaltung der pastoralen Arbeit vor Ort ein. Im Bamberger Bistum wurden die „Microm-Karten“ erworben, die die Milieuverteilung in den einzelnen Ortschaften und Pfarreien aufzeigen. So können wir auch die Lebenswelten und Wertevorstellungen in unseren Pfarreien näher untersuchen und verstehen.
Die Sinus-Milieus fassen Menschen in Haushalten zusammen, die sich in Lebensauffassungen, und -weisen ähneln. Das bedeutet, dass diese Menschen sozusagen Gleichgesinnte sind in Bezug auf ihre Werte-Orientierungen (was ist gut und anzustreben) und Alltagseinstellungen (wie stehe ich zu Familie, Arbeit, Freizeit, Konsum etc.). Die soziologische Forschung hat unsere Gesellschaft in 10 verschiedene Milieus eingeteilt, die in ein Grundraster aus „Sozialer Lage“ einerseits und „Grundorientierung“ andererseits eingepasst sind.
Hier ein kurzer Überblick, der im Wesentlichen die Charakteristika der zehn Milieus im Hinblick ihrer Stellung zur Katholischen Kirche beschreibt. Die Spalte A beinhaltet die Milieus der Gesellschaft, die nach traditionellen Werten suchen.
Die Konservativ-Etablierten vertreten eine Erfolgs- und Verantwortungs-ethik. Leistung gilt als Messlatte für sich selbst und die anderen, dementsprechend empfinden sie sich anderen Milieus gegenüber als höhergestellt. Sie haben einen ausgeprägten Familiensinn und bewahren ihre bewährten Traditionen und Lebensformen. Kirche ist der Garant für unsere Kultur und dazu da, den Menschen Halt und Orientierung zu geben, insbesondere für die jüngere und kommende Generation. Vor Ort wird Kirche von den Etablierten häufig als unprofessionell wahrgenommen. Sie finden diese jedoch überall dort attraktiv, wo sie intellektuelle Nachdenklichkeit zeigt.
Sie haben eine ähnliche Wert-orientierung wie die Konservativ-Etablierten, sind jedoch nicht so wohlhabend. Sie streben nach Sicherheit, Ordnung, Verlässlichkeit und der Anerkennung im Freundes- und Familienkreis. Im Blick auf Kirche gelten Aussagen wie „Sonntag ohne Messe geht nicht“ und „es ist selbstverständlich, seinen Teil zur Ordnung der Kirche beizutragen“.
Spalte B verkörpert die Gesellschaft, die sich modernisieren will und eher nach Selbstverwirklichung strebt.
Viele Angehörige des prekären Milieus leben in sozial und finanziell schwierigen Verhältnissen. Bei der Einstellung zur Kirche sind zwei gegensätzliche Haltungen zu beobachten: Ein Teil nimmt am kirchlichen Leben Teil und empfängt auch regelmäßig die Sakramente – der andere Teil hat mit der Kirche gebrochen und interessiert sich nicht für religiöse Themen, es sei denn, es handelt sich um Skandalgeschichten. Man engagiert sich nur wenig im Rahmen klassischer Beteiligungsangebote (z. B. Vereine, Verbände). Engagement im Rahmen informeller, nachbar- und verwandtschaftlicher Netzwerke ist hingegen selbstverständlich.
Angehörige dieses Milieus haben ein ausgeprägtes ökologisches und soziales Gewissen, sind Globalisierungs-Skeptiker und konsumkritisch. Ihre normativen Vorstellungen vom „richtigen Leben“ sind geprägt vom Pazifismus und dem Wunsch nach Entschleunigung. Typisch für das sozialökologische Milieu ist eine glaubensaffine, jedoch sehr kirchen-kritische Grundhaltung. Viele bezeichnen sich als gläubig, möchten sich aber nicht „als Christ schubladisieren lassen“. Fühlt man sich aber als gläubiger Christ, steht man zu seiner Überzeugung und vertritt den eigenen Glauben selbstbewusst.
Eine starke Gruppe unserer Gesellschaft ist die Bürgerliche Mitte. Sie bildet den statusorientierten Mainstream, der sich um soziale Sicherheit und harmonische Verhältnisse bemüht. Dazu gehören neben eigenem ehrenamtlichen Engagement auch ein intensives Familienleben mit Blick auf die eigenen Kinder. Der Bürgerlichen Mitte geht es bezüglich Kirche vor allem um die Bewahrung und Vermittlung christlicher Werte, die jedoch vor allem für den eigenen Nachwuchs wichtig sind. Bedauert wird, dass die heute nötige Modernisierung und Öffnung des kirchlichen Lebens „von oben“ blockiert wird und man an überholten Positionen fest-hält. Die Bürgerliche Mitte möchte eine offene, lockere Kirche mit Spaß und Freude und ist gern dabei, wenn man zeitgerecht (auch jugendgerecht) das kirchliche Angebot aufbaut.
Ganz anders geht es den Liberal-Intellektuellen. Sie sehen sich als die aufgeklärten Erben der 68er, die sich durch hohe Bildung und liberale Werte vom „biederen“ Mainstream abgrenzen. Sie zeichnen sich durch einen sehr weiten Horizont (v. a. in ökologischer Hinsicht) und Toleranz-denken aus. Bezüglich der Kirche vertreten sie die Meinung, dieser fehle es an Modernisierungsbereitschaft. Sie fordern eine Reform – es fehlt ihnen in der Kirche an charismatischen Figuren, mit einer positiven, zeitgemäßen Vision, die das Image in der Öffentlichkeit aufwerten.
Die Milieus der Spalte C zeichnen sich dadurch aus, dass die Mitglieder relativ jung sind.
Die spaßorientierten Hedonisten leben im Hier und Jetzt und sind stets auf der Suche nach Unterhaltung. Auch wenn sie ein „spießiges“ Leben nach außen hin ablehnen, so träumen viele doch von harmonischen Verhältnissen, zu denen sie eine feste Familie, ein geregeltes Einkommen und ein schönes Auto zählen. Katholische Hedonisten sind zwar keine „Pflicht-Kirchgänger“, viele lieben aber die feierliche und „schwebende“ Atmosphäre. Sie nehmen am Gemeindeleben teil und fühlen sich als Teil der Gemeinschaft. Bei manchen ist Kirche „im Moment nicht dran“. Als Hedonist entscheidet man oft spontan und situativ, ob man Interesse an kirchlichen Themen hat oder nicht.
Dem Milieu dieser Ausrichtung wird für die Zukunft eine gesellschaftliche Leitfunktion zugewiesen. Es gilt als die junge und unkonventionelle „Leistungselite“. Moderne Performer betreiben sowohl berufliches als auch privates Leben sehr intensiv. Das kommt daher, dass sie nicht nur materiellen Erfolg im Blick haben, sondern darauf aus sind, ihre eigenen Stärken zu erproben und „das eigene Ding“ durchzuziehen. Sie sehen Kirche unterschiedlich: Ablehnend gegenüber einer autoritären Kirche mit eingeschränkten Vorschriften, aber auch sympathisch, wo die Würde und Größe des Menschen betont wird.
Die Expeditiven sind mental und geografisch mobil, online und offline vernetzt und immer auf der Suche nach neuen Grenzen und neuen Lösungen. Dabei lehnen sie äußere Zwänge ab. Sie sind an einer Teilnahme am kirchlichen Leben in der Regel nicht interessiert. Glaube wird außerhalb der Kirche gelebt. Demnach sprechen Gottesdienste in traditioneller Form sie nicht an. Allerdings sind sie offen für spirituelle Themen. Christliche Werte, die das Zusammenleben der Menschen in Deutschland bestimmen, halten sie für gesellschaftliche Grundanforderungen, auf die sie sich selbst berufen.
Die Adaptiv-Pragmatischen zeichnen sich durch Lebenspragmatismus und Nutzenkalkül aus. Sie sind einerseits flexibel und offen für Neues, andererseits sicherheitsorientiert und mit starkem Bedürfnis nach Verankerung und Zugehörigkeit. Freiwilliges Engagement wird dann attraktiv, wenn es als nette und wenig anstrengende Abwechslung zum Alltag wahrgenommen wird. Adaptiv-Pragmatische erwarten von der Kirche, dass sie sich an die heutige Zeit anpasst, ihr Angebot attraktiver gestaltet und präsentiert.
Haben Sie sich in einem oder mehreren Milieus wiedererkannt? Vielleicht fällt es Ihnen nicht schwer, sich zuzuordnen oder aber Sie finden sich in mehreren Milieus wieder. Die vorgestellten Milieus sind nicht scharf gegeneinander abgegrenzt und „verschwimmen“ an den Rändern.
Die Unterscheidung in Milieus bietet eine soziologische Brille, die hilft, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit ihrer Mitglieder besser zu sehen und zu verstehen. Die Sinus-Milieus sensibilisieren für die Unterschiedlichkeit von Menschen und für die Vielfalt der Lebensweisen. Diese soziologische Brille hilft auch, uns selbst als Kirche besser wahrzunehmen und unsere Milieuverengung zu erkennen.
Weil sich Menschen aus allen Milieus in der Kirche finden lassen, kann diese Frage nicht absolut beantwortet werden. Dennoch sind Tendenzen zu erkennen, nämlich dass die traditionellen und klassischen Elemente und Angebote der katholischen Kirche hauptsächlich Menschen aus den A-Milieus erreichen. Daneben sind gerade Feiern und Feste im Lebenslauf (Taufe, Erstkommunion, Trauung, Beerdigung) bei den B-Milieus wichtig. Die relativ jungen C-Milieus finden derzeit nur wenig Anknüpfungspunkte in den Gemeinden vor Ort. Dazu kommt, dass die Durchschnittsalter der Milieus von A nach C abnehmen. Somit werden die „Stammmitglieder“ der katholischen Kirche immer älter, die entsprechenden Milieus scheinen auf natürlichem Weg zu schrumpfen, während die Milieus mit wenig kirchlichen Berührungspunkten in Zukunft zunehmend wachsen werden.
Die folgenden Grafiken (siehe Darstellungen unten in der Gallerie) stellen einen Grobüberblick über unsere Gesellschaft in unseren Pfarrgemeinden Litzendorf, Lohndorf und Geisfeld dar. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Pfarrgemeinden gar nicht so sehr. Dennoch gibt es in jeder Pfarrgemeinde unterschiedliche „Dominante Milieus“, also Milieus, die im Vergleich zum Durchschnitt in Deutschland in der entsprechenden Pfarrgemeinde deutlich stärker vertreten sind. Hätten Sie gedacht, dass in Geisfeld das Milieu der Performer, in Litzendorf die Bürgerliche Mitte und in Lohndorf das Traditionelle Milieu deutlich stärker als im Durchschnitt vertreten ist?
Wenn bekannt ist, welche Milieus hier vor Ort über- oder unterdurchschnittlich vorhanden sind, dann versteht man vielleicht, warum bei uns etwas „gut läuft“ und was eben „nicht mehr so gut“ läuft, obwohl wir uns „angeblich so bemühen“.
Zunächst geht es erst einmal darum, all das wahrzunehmen und einen Einblick in unsere Pfarrgemeinden zu bekommen. Der nächste Schritt wäre nun, Schlussfolgerungen für unser kirchliches Leben und Miteinander zu ziehen. Fragen könnten sein:
Eine große Hilfe bei all den Überlegungen können Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, sein: Geben Sie uns Rückmeldung (mündlich, schriftlich), wie etwas bei Ihnen ankommt, welche Ideen Sie haben, was Sie sich wünschen. Wir freuen uns sehr darüber!
Kontakt siehe hier oder sprechen Sie Ihre Pfarrgemeinderäte an.
Wie geht es weiter bei uns? Lesen Sie weiter auf den Folgeseiten.
Autoren: Sachausschus Öffentlichkeitsarbeit - Lydia Zeck, Angelika Kotissek, Stefan Dorsch
Seit vielen Jahren ist die Landkarte der Sinus-Milieus als "Kartoffelgrafik" bekannt. Wie man sieht, ergeben 10 "Kartoffeln", eine für jedes Milieu, ein modellhaftes Abbild der sozialen Schichtung und der Wertestruktur unserer deutschen Gesellschaft in ihrer Wechselwirkung. In dieser "strategischen Landkarte" können Produkte, Marken und Medien positioniert werden.
Im Vergleich zu früheren Milieu-Landkarten wird deutlich, das die Wertachse entsprechend den realen historischen Veränderungen weiter ausdifferenziert wird und innerhalb der großen Abschnitte A, B, C jeweils distinkte Moderniesierungsphasen abgegrenzt werden können.
Die Studie hier basiert auf 2013 und wird durch das Erzbistum im 5Jahres-Rythmus (ca.) aktualisiert, weil sich jährlich nicht so viel in sich ändert. In den beiliegenden Graphiken ist daher die letzte Studie (Deutschlandweit) 2015 beigefügt - zur allgemeinen Information.